Feministische Wortbildung in der
deutschen Sprache
Der öffentliche
Kommunikationsraum war noch nie so zugänglich für breite Bevölkerungsschichten
wie heute. Dadurch wächst die Zahl der Neologismen und okkasionellen Neuschöpfungen
ständig, und die deutsche Sprache ist hier wegen ihrer reichen wortbildenden
Möglichkeiten, vor allem durch das Potential der Komposita, in einer besonders
günstigen Lage. Traditionell gehört eher die Politik zu den Feldern, wo am
meisten sprachliche Neubildungen entstehen, so nennt die Gesellschaft für
deutsche Sprache in ihrem letzten sprachlichen Jahresrückblick die Wörter „GroKo“ („Große Koalition“),
„Armutseinwanderung“ und „Ausschließeritis“
unter den „Wörtern des Jahres“. Wie auch bei diesem „Wettbewerb“ überwiegen
zusammengesetzte Substantive ebenfalls unter den im Rahmen des Projekts „Die
Wortwarte“ festgestellten Neubildungen (vgl. „der Mautminister“, „das Leiterloch“, „das Viralvideo“ usw.). Die
Zusammensetzung ist nicht nur in Bezug auf die Semantik ein sehr bequemes
Wortbildungsmittel, sie entspricht auch der Forderung nach Sprachökonomie, und
darüber hinaus erlaubt sie es auch, Emotionen und Bewertungen treffend
auszudrücken [1, 357].
Einen besonderen Platz in den
modernen Prozessen der Wortbildung nimmt nach unserer Ansicht das Wortgut, das
infolge der Bemühungen um eine geschlechtsgerechte Sprache entstanden ist, ein.
Aus der Forderung nach einer
geschlechtsbezogenen Korrektheit der Sprache hervorgegangen, wird die Tendenz
zur Feminisierung der deutschen Sprache nicht nur in der Entstehung einzelner
Neubildungen deutlich, sondern auch in Veränderungen hinsichtlich der
Paradigmen. Die Eigenart der feministischen Wortbildung besteht vor allem in
ihrem Systemcharakter, der daraus resultiert, dass feministische Neuschöpfungen
nicht als Neubenennungen entstehen, die bestimmte inhaltliche oder
konzeptionelle Lücken füllen, sondern eine alternative Redeweise ermöglichen.
Damit ist verbunden, dass die Feminisierung nicht nur durch eine Doppelanrede (Bürgerinnen und Bürger), nicht nur durch
Verbreitung des Suffixes -in für die Bezeichnung weiblicher Personen (Kundin,
Richterin, Zimmerin), nicht nur in Form des Binnen-I für die gleichzeitige
Benennung von beiden Geschlechtern (AutorInnen,
KünstlerInnen), nicht nur in substantivischen Bildungen wie Mitarbeitende (statt Mitarbeiter), Frauschaft (statt Mannschaft)
oder Bauberechtigte (statt Baumann) erfolgt, sondern auch Verben
wie vertöchtern (statt versöhnen), Adjektive wie bemenscht (statt bemannt)
oder Pronomen jefraud (statt jemand), jedefrau (statt jedermann),
frau oder mensch (als Indefinitpronomen statt man) ins Leben ruft. Außerdem sind infolge der Anstrengungen, die
Sprache geschlechtsgerecht zu machen, folgende Erscheinungen entstanden:
(1) Das weiss jedeR, der oder die … (Die Wochenzeitung. — Nr. 10/2014, 06.03.2014);
(2) Wer einen Menschen aus Mordlust, Habgier … tötet, wird wegen Mordes mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft…
(statt Mörder );
(3) das stellvertretende Mitglied (statt der Stellvertreter);
(4) Bei Teilnahme an… wird ein Unterhaltsgeld gewährt (statt Teilnehmern … wird gewährt) usw.
(Beispiele 2-4 wurden dem Bericht der Arbeitsgruppe Rechtssprache vom 17.
Januar 1990 entnommen [3]).
Im ersten Beispiel sehen wir, wie
die Idee der sprachlichen Emanzipation der Frau die übliche Schreibweise nicht
nur durch das Majuskel-I, sondern auch durch das Prinzip der fakultativen
Großbuchstaben am Wortende ändert. Die anderen Beispiele zeigen syntaktische
Umschreibungen, die es zulassen, direkte Personenbezeichnung zu vermeiden und
die besonders in die Rechtssprache einen breiten Eingang gefunden haben.
Nennenswert scheint hier auch der Vorschlag der feministischen
Sprachkritikerinnen zu sein, generisches Neutrum für personenbezeichnende
Substantive einzuführen. So sollten z. B. die Bezeichnungen „der Direktor“ und „die Direktorin“ nur geschlechtsspezifisch gebraucht werden, für die
geschlechtsneutrale Bedeutung sollte dagegen „das Direktor“ dienen.
Mit Rücksicht auf das oben
Behandelte stimmen wir also der deutschen Linguistin Maria Pober zu, die
behauptet, dass die Feminisierung der Sprache auf orthographischer,
morphologischer, syntaktischer und semantischer Ebene erfolgt [2, 31]. Die
Sprachwissenschaftlerin spricht sogar von einer „feministischen
Sprachvarietät“, die zumindest aus sprachwissenschaftlicher Sicht der
Standardsprache gleichwertig sein sollte. Diese Idee der „feministischen
Sprachvarietät“ korreliert mit der vorstehenden These von der geschlechtsbezogenen
Umgestaltung der ganzen Kommunikationseinheiten, also mit der Verwirklichung
der Idee der geschlechtlichen Korrektheit auf der Textebene. Relevant scheint
es, die feministische Sprechweise vom Standpunkt der Sprachtätigkeit aus zu
betrachten, die ihre Ziele hat und für die von ihren Subjekten entsprechende
Mittel und Instrumente gesucht werden.
Eine weitere Besonderheit der
feministischen Wortbildung besteht in der Tatsache, dass Neuschöpfungen nicht
als Ergebnis freier kreativer Sprachtätigkeit, sondern durch eine Ersatztechnik entstehen. Als Grundlage
für die Entstehung neuer Spracheinheiten dient hier fast immer die
traditionelle „androzentrische“ Form, die in der neuen alternativen Variante
semantisch negiert wird. Es ist einleuchtend, dass die Entfaltung der Idee der
geschlechtsgerechten Gestaltung von Texten in Widerspruch mit der Abhängigkeit
von den traditionellen sprachlichen Formen gerät. Einerseits spiegelt die
Tendenz zur Feminisierung der Sprache gesellschaftliche Erfordernisse nach
einer neuer Sprachbehandlung der Geschlechter wider, andererseits bleiben die
alten sprachlichen Mittel der Geschlechtsbezeichnung stets mitgemeint, wenn
auch durch neue Formulierungen ersetzt. Gerade diese Tatsache führt dazu, dass
der sprachlichen Sichtbarmachung der Frau vorgeworfen wird, dass sie die
Ungleichheit der Geschlechter betont statt sie aufzuheben [4].
Die genannte Erscheinung ist eng
damit verbunden, dass sich die feministische Wortbildung auf die Form der
Wörter konzentriert, wobei oft eben die äußere
und nicht die innere Form eine entscheidende Rolle spielt. So betonen
z. B. die von den Vertreterinnen der feministischen Sprachkritik
vorgeschlagenen Pronomen jefraud oder
jederfrau, oder Wörter wie Frauschaft die „männliche“ Komponente
der traditionellen Wörter, die in ihrer Semantik eigentlich nicht aktualisiert
wird. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache bestimmt beispielsweise die
Mannschaft als „Gruppe von Menschen
mit gemeinsamer Funktion“, das Geschlecht wird also überhaupt nicht erwähnt.
Als Unterbegriffe des Wortes werden unter anderem Frauenmannschaft, Männermannschaft und Mädchenmannschaft angeführt.
Die Notwendigkeit, das Geschlecht zu präzisieren, zeugt davon, dass das Wort
Mannschaft semantisch geschlechtsneutral ist, was auch die Etymologie des
Wortes bestätigt: laut etymologischem Wörterbuch von Friedrich Kluge geht das
Wort auf die Verallgemeinerung der Bedeutung „das Kollektiv“ zurück. So zieht
hier die feministische Umdeutung eine Art Ad-hoc-Etymologie durch, indem sie
gerade die formelle Komponente der Angehörigkeit zum männlichen Geschlecht
semantisch in den Vordergrund stellt. Ähnlich werfen die Feministinnen dem Wort
„herrlich“ Androzentrismus vor,
obwohl es ursprünglich eine Weiterbildung von „hehr“ ("grau(haarig)", dann „ehrwürdig“, „vornehm“) war,
und erst später auf Herr bezogen und entsprechend abgewandelt wurde. Auch beim
Verb „versöhnen“ entdecken wir beim
Nachschlagen im etymologischen Wörterbuch, dass es sich um eine Ableitung vom
Wort „Sühne“ („Genugtuung“,
„Vergeltung“, „Versöhnung“) und nicht von „Sohn“ handelt.
Es wird darüber hinaus noch zu
klären sein, inwiefern die fortlaufende Tendenz zur Feminisierung der Sprache
mit dem Gesetz der Sprachökonomie und anderen Entwicklungstendenzen der
deutschen Sprache korreliert.
Literatur
1. Брандес М. П. Стилистика текста. Теоретический курс : учебник /
Маргарита Петровна Брандес. — [3-е изд., перераб, и доп.]. — М. : Прогресс-Традиция; ИНФРА-М, 2004. — 416 с.
2. Pober, M.
Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines
Genderwörterbuches im Deutschen / Maria Pober. — Würzburg : Königshausen & Neumann,
2007. – 561 S.
3. Maskuline
und feminine Personenbezeichnungen in der Rechtssprache: Bericht
der Arbeitsgruppe Rechtssprache vom 17. Januar 1990. — http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/12/010/1201041.pdf
4. Thurner I. Der Gender-Krampf verhunzt die deutsche Sprache / Ingrid Thutner // Die Welt, 2.
Februar 2013. —http://www.welt.de/debatte/kommentare/article113305194/Der-Gender-Krampf-verhunzt-die-deutsche-Sprache.html
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